Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)


Die intrazytoplasmatische Spermieninjektion, kurz ICSI, ist eine Methode der künstlichen Befruchtung und neben der In-vitro-Fertiliation (IVF) die Behandlung mit dem höchsten Schwangerschaftserfolg pro Versuch. Bei der ICSI wird eine Samenzelle direkt in das Innere der Eizelle eingebracht. So lässt sich auch mit ganz wenigen und sogar unbeweglichen Samenzellen eine Befruchtung herbeigeführen. Sobald die Befruchtung erreicht ist, hat die ICSI keine Vorteile gegenüber der IVF-Behandlung. Die Schwangerschaftsraten sind nicht besser.

Bei andrologisch bedingter Sterilität (reduzierter Samenbefund = männliche Subfertilität) sind mit den herkömmlichen Behandlungsmethoden die niedrigsten Erfolge zu verzeichnen. Medikamente haben zu keiner deutlichen Verbesserung der Ergebnisse geführt. Nur bei ganz wenigen Männern ist es möglich, die Zeugungsfähigkeit mit Medikamenten so zu beeinflussen, dass vermehrt Schwangerschaften eintreten.

Abläufe zwischen Ei- und Samenzelle bei der Befruchtung

Die menschliche Eizelle wird unter anderem von Ernährungszellen (Granulosazellen) umgeben. Unzureichend bewegliche Samenzellen können bereits diese Schicht nicht durchdringen und erreichen somit die Eizelle nicht. Die Granulosazellen lassen sich einfach und ohne Schädigung der Eizelle entfernen. In der folgenden Abbildung werden die sehr komplizierten Abläufe zwischen Ei- und Samenzelle dargestellt:

Sperma-Eizell-Interaktion
© Wechselwirkung zwischen Samen- und Eizellen bei der Befruchtung

Der Endpunkt dieser „Auseinandersetzung von Ei- und Samenzelle“ ist die Befruchtung. Zuerst muss die Samenzelle die Zona pelluzida durchdringen (1). Die Zona pelluzida ist eine feste Schicht aus Eiweiß- und Zuckerverbindungen. Gut bewegliche Samenzellen können diese äußere Schicht durchdringen. Außerdem muss die Akrosomreaktion (2) abgelaufen sein. Die Akrosomreaktion besteht aus komplizierten biochemischen Vorgängen, die noch nicht voll erforscht sind. Bekannt ist aber, dass Samenzellen, die von „schlechterer“ Qualität sind, zu dieser Reaktion nur bedingt oder gar nicht fähig sind. Ein Spermium, das diese Barriere durchdrungen hat, wird normalerweise an die die Eizelle direkt umgebende Schicht gebunden (3). Danach muss diese Schicht durchdrungen werden; erst dann können Samen- und Eizelle verschmelzen (4).

Bei Männern, bei denen ein eingeschränktes Spermiogramm (verminderte Zahl; reduzierte bis aufgehobene Beweglichkeit; Vermehrung fehlgeformter Zellen) vorliegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser komplexe Befruchtungsvorgang abläuft, reduziert. Eine 100-prozentige Voraussagewahrscheinlichkeit, ob mit dem jeweils vorliegenden Samenbefund eine natürliche Befruchtung oder eine Befruchtung in der Retorte noch möglich ist, kann allerdings nicht getroffen werden. Die immer noch angebotenen aufwendigen Zusatztests für Samenzellen können nicht verlässlich vorhersagen, ob eine Befruchtung stattfindet oder nicht.

Arztsuche

Ablauf der ICSI-Methode

Seit 1976 haben Ärzte im Tierexperiment versucht, über das direkte Einbringen einer Samenzelle in das Innere der Eizelle eine Befruchtung herbeizuführen. Ende der 80er-Jahre wurde für das Rind und das Kaninchen belegt, dass es mit dieser Technik möglich ist, eine Befruchtung herbeizuführen und dass danach eine normale Zellteilung ablaufen kann, die zu gesunden Nachkommen führt. Die erste Geburt eines gesunden Kindes nach Spermainjektion wurde 1989 erreicht. Diese ICSI-Technik (intrazytoplasmatische Spermatozoeninjektion) ist mittlerweile weltweit verbreitet und hat sich als erfolgreich erwiesen. Man kann mit ganz wenigen und sogar mit unbeweglichen Samenzellen eine Befruchtung und eine Schwangerschaft herbeiführen.

Künstliche Befruchtung mit ICSI
Schematische Darstellung der ICSI © koya979 / Fotolia

Die Stimulationsbehandlung für die ICSI von Eizellen ist wie die für die In-vitro-Fertilisation. Auch die Eizellgewinnung ist nicht anders. Die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (Mikroinsemination) wird unter einem hochauflösenden Spezialmikroskop mit feinsten Glaskapillaren durchgeführt. Die mikroinseminierten Eizellen werden danach in den Brutschrank gegeben und es wird genauso verfahren wie bei der In-vitro-Fertilisation. Wie bei der In-vitro-Fertilisation werden die Embryonen anschließend in die Gebärmutter zurückgegeben.

Mögliche Vorbehalte gegen die intrazytoplasmatische Spermieninjektion

Es wird immer wieder die Befürchtung geäußert, dass vermehrt Fehlbildungen bei den „ICSI-Kindern“ auftreten, unter anderem wegen der Verwendung „schlechter“ Samenzellen, die normalerweise wohl kaum eine Eizelle befruchtet hätten. Vorbehalte gibt es auch gegen die In-vitro-Fertilisation oder gegen die Insemination. Letztendlich entscheidet das Paar, ob es die Methode akzeptiert oder nicht.

Gewinnung von Samenzellen aus Nebenhoden oder Hoden

Durch die Spermieninjektion (ICSI) kann man also mit sehr wenigen und auch mit unbeweglichen Samenzellen die Befruchtung einer Eizelle herbeiführen. Aber was passiert, wenn im Spermiogramm mehrfach überhaupt keine Spermien zu finden sind? Das waren früher hoffnungslose Fälle. Männern mit inoperablem Samenleiterverschluss, mit hochgradiger Störung der Spermienreifung und Patienten nach Tumoroperationen kann durch die Gewinnung von Samenzellen aus dem Nebenhoden (MESA) oder dem Hoden (TESE) zu eigenen Kindern verholfen werden. Auch wenn im Ejakulat keine Samenzellen vorhanden sind, ist es in vielen Fällen möglich, Samenzellen durch einen kurzen operativen Eingriff zu gewinnen. Oft befinden sich befruchtungsfähige Spermien im Nebenhoden oder im Hoden:

  • MESA (mikrochirurgische epididymale Spermienaspiration): MESA steht dabei für „mikrochirurgische epididymale Spermienaspiration“ und bedeutet Gewinnung von Spermien aus dem Nebenhoden. Bei der Operation sucht der Arzt den Samenleiter auf und schaut nach, ob ein Verschluss vorliegt. Solch ein Verschluss kann Folge einer Entzündung sein. Er kommt zudem auch bei bestimmten Erkrankungen wie Mukoviszidose vor. „Unterhalb des Verschlusses“, im Nebenhoden, kann der Arzt dann Samenzellen suchen und finden, die für die ICSI direkt oder später verwendet werden können. Ist der Verschluss von der Länge her begrenzt, so kann bei diesem Eingriff der verschlossene Teil entfernt werden und der Samenleiter wieder aneinandergenäht werden.
  • TESE (testikuläre Spermienextraktion): TESE meint „testikuläre Spermienextraktion“. Es liegt hierbei nicht an einem Verschluss der Samenwege, sondern meist an einer Schwäche des Hodens, ausreichend ausgereifte Samenzellen freizusetzen (der Samenflüssigkeit beizufügen). Durch eine Hodenbiopsie wird Gewebe entnommen und nachgesehen, ob Samenzellen oder deren Vorstufen vorhanden sind. Die Samenzellen werden also direkt aus der Gewebeprobe (Biopsie) des Hodens gewonnen.

Bei mindestens 75 Prozent der Operationen gelingt es, Samenzellen zu finden. Die durch TESE oder MESA gewonnenen Samenzellen werden meist in mehreren Proben tiefgefroren und können später wieder aufgetaut werden.

Arztsuche

Verbesserung der Erfolgschance der ICSI mithilfe von IMSI

Der Einsatz eines hochauflösenden Mikroskops zur Samenuntersuchung kann wohl die Erfolge der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) erhöhen. Das Besondere an diesem Mikroskop ist dabei, dass man mit einer fünfmal so hohen Vergrößerung (wie in gängigen Mikroskopen) Veränderungen an Samenzellen erkennen kann, die man bislang nicht sehen konnte (jetzt maximale Vergrößerung). Es werden die morphologisch besten Samenzellen ausgesucht und dann für die ICSI verwendet. Der Fachausdruck für diese neue Technik lautet IMSI (intracytoplasmicmorphologically selected sperm injection).

In der weltweit ersten randomisierten kontrollierten Studie (RCT, der Studientyp mit der verlässlichsten Aussage) wurden 446 Paare untersucht, deren Kinderlosigkeit durch eine starke Zeugungseinschränkung des Mannes (Oligoasthenoteratozoospermie) bedingt war. Bei 219 Paaren erfolgte die „klassische ICSI“ und bei 227 die neue IMSI-Technik. Die Studie ist deshalb so verlässlich, weil weder die Patienten noch die behandelnden Ärzte und Embryologen wussten, wer welcher Gruppe angehört („doppelte Verblindung“).

IMSI gibt Hoffnung für Paare mit reduzierter Chance:

  • Paare mit IMSI hatten eine Schwangerschaftsrate von 39 Prozent pro Versuch, Paare mit ICSI hatten 26,5 Prozent.
  • Der Unterschied war besonders ausgeprägt bei Paaren, die bereits zwei oder mehr fehlgeschlagene ICSI-Versuche hinter sich hatten: IMSI führte zu einer Schwangerschaftsrate von fast 30 Prozent, ICSI nur zu 13 Prozent.
  • Die Zahl der Fehlgeburten war bei ICSI 37 Prozent und bei IMSI nur 17 Prozent.

Der Hintergrund: DNA-Fragmentierung der Samenzellen als Prognosefaktor?

Es scheint so zu sein, dass die im normalen Mikroskop nicht erkennbaren Veränderungen an den Samenzellen zu reduzierten Chancen für eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege wie auch bei künstlicher Befruchtung führen. In diesen Fällen kann nach der ICSI die Befruchtung und Zellteilung anscheinend regelhaft ablaufen, zu einer Schwangerschaft kommt es aber seltener und dann noch häufiger zur Fehlgeburt.

IMSI ist aufwendig, erfordert Zeit und den geschulten Biologen/Embryologen. Die Methode kann die Reproduktionsmedizin weiterentwickeln. Um die Vor- und Nachteile besser beurteilen zu können, sind aber mindestens ein bis zwei weitere Studien (wie die von Antinori) erforderlich. Außer den Kosten sind bislang keine Nachteile der IMSI-Technik bekannt.

Verwendete Quellen:

  • NG S-C, Bongso A, Ratnam S, Sathananthan H, Chan C-L,Wong P-C, Hagglund L, Anandakumar C, Wong Y-C, Goh V-H: Pregnancy after transfer of sperm under zona (letter). Lancet 2 (1988) 790
  • Palermo G, Joris H, Devroey P, Van Steirteghem AC: Pregnancies after intracytoplasmic injections of single spermatozoon into oocyte. Lancet 4 (1992) 17–18
  • Antinori M et al. Intracytoplasmic morphologically selected sperm injection: a prospective randomized trial. Reprod Biomed Online. 2008 Jun;16(6):835-41
  • Evenson D,Wixon R.Meta-analysis of sperm DNA fragmentation using the sperm chromatin structure assay. Reprod Biomed Online. 2006 Apr;12(4):466-72

Autoren:
Prof. Dr. med. Karl Sterzik
Dr. med. Erwin Strehler
Prof. Dr. med. Rainer Wiedemann
Dr. med. Petra-Ilona Wiedemann